E‑Sport in 2030
Amateur-E-Sport nachhaltig und zukunftsfähig machen – Position des 1. EC Frankfurt zum Visionspapier „E‑Sport in 2030“
Im Visionspapier „E-Sport in 2030“ stellen namhafte Expert*innen der deutschen E-Sport-Szene in groben Zügen dar, wie sich die Szene in den nächsten Jahren aus ihrer Sicht entwickeln sollte, um nachhaltig zu werden. Dabei formulieren sie Forderungen und Angebote in Richtung der etablierten Stakeholder in E-Sport, Politik und Gesellschaft. Die Initiator*innen sowie inzwischen auch der eSport-Bund Deutschland (ESBD) rufen dazu auf, die Ideen des Visionspapiers aufzugreifen und weiterzuentwickeln bzw. zu konkretisieren.
Diesem Aufruf wollen wir, der Vorstand des 1. Esport Club Frankfurt, gerne nachkommen. Der 1. Esport Club Frankfurt versteht sich, auch aufgrund seiner Mitgliederzahl, als relevanten Akteur im Amateur- bzw. Breiten-E-Sport. Mit unserer fünfjährigen Vereinsgeschichte (und unserer Vorgängerorganisation University eSports Frankfurt, gegründet 2017) stehen wir repräsentativ für viele andere Organisationen, die im Umfeld des universitären E-Sport seit 2015 entstanden sind. Dabei ist der Verein aber nicht auf die universitäre Szene beschränkt: in Rainbow 6 Siege waren, in Dota 2 sind wir aktuell unter den besten Amateurteams in Deutschland. Wir unterstützen und teilen die skizzierten Visionen in vielerlei Hinsicht, sehen uns aufgrund unserer Erfahrung jedoch zudem in der Lage und in der Verantwortung, eigene detaillierte Positionen und Forderungen zu ergänzen.
Unser Anliegen ist dabei das Vorantreiben des Diskurses anhand konkreter Aspekte der Arbeit im Amateurbereich; das gewählte Vorgehen der Initiator*innen halten wir für sehr gut und wollen es bewusst ergänzen, nicht kritisieren. Deshalb beschränken wir uns auf Bereiche, in denen wir selbst über Expertise aus der Praxis verfügen – bei Themen wie Monetarisierungsmodellen haben wir zwar vielleicht auch eine Meinung, aber eben nicht mehr als das.
Entwicklung von Amateur- und Breitensportvereinen bzw. Verbandsebenen
Wie die Initiator*innen von „E-Sport in 2030“ sehen wir die Vereine als einen „Grundpfeiler des deutschen E-Sports“. Ein stärkerer Erfahrungsaustausch und mehr Kooperation auf lokaler und regionaler Ebene helfen – so erleben wir es selbst – allen beteiligten Vereinen. Die Entwicklung fester regionaler oder überregionaler Strukturen (z.B. in Form von Regional- oder Landesverbänden) begrüßen wir grundsätzlich, obgleich bei uns in Hessen bislang kein solcher Verband existiert. Wir selbst haben in der Vergangenheit Versuche, einen hessischen Landesverband ins Leben zu rufen, durchaus unterstützt.
Aktuell erleben wir jedoch in unserer alltäglichen Arbeit, dass viele Erfahrungsträger*innen, die solche Strukturen vorantreiben könnten, zu sehr in Aufgaben innerhalb des Vereins eingebunden sind und dort auch gebraucht werden, um einen solchen Prozess federführend zu gestalten. Ein Zentralverband könnte hier unterstützend tätig werden, beispielsweise durch die Schulung oder Vermittlung geeigneter Prozessbegleiter*innen, die über die nötigen Methodenkenntnisse verfügen, um die Rahmenbedingungen für einen solchen Prozess zu liefern, also z.B. die Koordination und Moderation entsprechender Treffen zu übernehmen.
Dabei stoßen wir auf ein Henne-Ei-Problem: Der ESBD ebenso wie die Schaffung untergeordneter Verbandsebenen brauchen erfahrene, motivierte Menschen. Diese können die Vereine aber nicht vollständig entbehren, weil sie selbst davon zu wenige haben. Gleichzeitig fehlt den Vereinen mitunter Expertise oder Erfahrungswissen, welches sie über eine bessere Vernetzung (z.B. auf geeigneter Verbandsebene) vielleicht mit geringem Aufwand beziehen könnten. Damit könnten vereinsintern Kapazitäten freigesetzt oder sogar neu geschaffen werden, die als Ressourcen für die Verbandsarbeit zur Verfügung stünden.
In dieser Hinsicht könnte eine bessere, gezielte Qualifizierung von Ehrenamtlichen Abhilfe schaffen, wie sie im Positionspapier ebenfalls gefordert wird. Neben den bisherigen Erfahrungsträger*innen, die vielfach über ihr langjähriges Engagement über sehr breites, aber unstrukturiertes Wissen bzw. Erfahrungen verfügen, könnten so bestehende oder Neumitglieder deutlich eher befähigt werden, Verantwortung innerhalb ihres Vereins (oder sogar darüber hinaus) zu übernehmen.
Themenbereiche, in denen aus unserer Sicht fundierte Schulungen wünschenswert, sinnvoll oder sogar erforderlich wären, sind Jugendschutz, Coaching, interne und externe Kommunikation, IT (spezifisch im Kontext Homepage) sowie Grundlagen von Event-, Mitglieder-, Team- und Wissensmanagement. Wobei nicht zu jedem Thema eine dedizierte Schulung notwendig ist, vieles ließe sich auch im Rahmen einer „Schulung für Vorstandsarbeit“ o.ä. abdecken. In vielen dieser Bereiche dominiert derzeit sehr stark „learning by doing“, wobei durch mangelndes Wissensmanagement und fehlenden Austausch mit anderen Menschen, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen, viele Erfahrungen immer wieder neu gemacht werden müssen.
Gesellschaftliche Positionierung und gemeinsames Wertesystem
In seiner Satzung hat sich der 1. Esport Club Frankfurt unter anderem der „Bildung der Bevölkerung und gesellschaftlicher Vertreter über den E-Sport und seiner Belange, den Chancen und Risiken der Ausübung des E-Sports und dem allgemeinen Umgang mit E-Sport“ verschrieben. Die im Positionspapier geforderte Steigerung der „gesellschaftlichen Wertschätzung und Wahrnehmung des E-Sports“ ist für uns insofern eine Aufgabe für alle Akteur*innen innerhalb des deutschsprachigen E-Sports.
An vorderster Stelle steht für uns der Abbau des allgemeinen Stigmas, wie er im Zuge der „Killerspiel“-Debatten vergangener Jahrzehnte entstanden ist, sowie ein proaktiver Umgang mit negativen Stereotypen, wie z.B. hinsichtlich der vielfach destruktiven Umgangsformen (von jugendlicher Unreife bis hin zu offensichtlicher Unsportlichkeit und weitverbreiteter Intoleranz) sowie des Potenzials für Eskapismus oder gar Sucht. Neben grundlegenden Veränderungen innerhalb der Szene (dazu unten mehr) braucht es aus unserer Sicht eine breiter aufgesetzte PR-Arbeit, die (je nach Größe und Reichweite der jeweiligen Organisation) z.B. die Berichterstattung in Lokal- oder überregionaler Presse aktiv mitgestaltet, um auch Menschen zu erreichen und anzusprechen, deren Alltag sich außerhalb der in der Szene eingespielten Social-Media-Bubbles abspielt. Insbesondere für Vereine, die Kinder und Jugendliche ansprechen (wollen), ist Elternarbeit eine weitere, wichtige Komponente, um Vorurteile zu adressieren und abzubauen.
Gleichzeitig bestärken gut sichtbare Funktionsträger*innen und/oder Influencer*innen mit ihrem Verhalten (z.B. in sozialen Medien) – oftmals sicherlich unfreiwillig – die angesprochenen Vorurteile. Dabei ist aus unserer Sicht besonders problematisch, wenn endemische Probleme innerhalb der E-Sport-Szene als „unveränderlich“ oder „das ist halt so“ abgetan werden. Klare Kante gegen Sexismus, Fremdenfeindlichkeit bzw. allgemein Hass im Netz sehen wir als elementare Grundlage einer Community an, die auf dem zentralen Gedanken fußt, dass alle Menschen – unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft oder Religion – jederzeit und überall auf der Welt gemeinsam Spaß haben können. Wir begrüßen und unterstützen daher insbesondere die Forderung nach einem „gemeinsamen Sendungsbewusstsein“ für den deutschen E-Sport. Wenn der E-Sport in der Gesellschaft ankommen und von ihr angenommen werden soll, muss er sich klar von Werthaltungen abgrenzen, die sich gegen weite Teile dieser Gesellschaft wenden.
Gemeinnützigkeit und der Stellenwert des E-Sport in der Gesellschaft
Der Weg des E-Sport in die Gesellschaft führt aus unserer Sicht mittelfristig über die Jugendarbeit: zweifelsohne ist Gaming/E-Sport Teil der gegenwärtigen Jugendkultur. Den Vereinen kommt dabei eine besondere Rolle zu: Sie agieren einerseits als Vermittler zwischen Kindern/Jugendlichen und Eltern, die gerne (besser) verstehen möchten, wofür ihre Kinder sich interessieren oder dieses Interesse gerne in etwas strukturierte Bahnen lenken wollen. Andererseits werden sie für diese jungen Menschen potenziell zu einer prägenden Sozialisationsinstanz. Ihnen kommt mithin eine große Verantwortung zu, die aber (leider) auch Gelegenheit zum Missbrauch bietet. Jugendschutz hört für uns daher nicht bei der Altersfreigabe eines Computerspiels auf, sondern beinhaltet u.a. auch Suchtprävention oder die Prävention von Übergriffen seitens der Übungsleiter/Betreuer.
Wir wünschen uns daher eine klare rechtliche Einordnung der Anforderungen seitens des Gesetzgebers hinsichtlich der organisierten Arbeit mit Jugendlichen im Kontext des E-Sport (insbesondere also auch im digitalen Raum) und regen eine flächendeckende Auseinandersetzung mit dieser Thematik an, bei der mögliche Strategien zur Umsetzung der rechtlichen Vorgaben in den Vereinen entwickelt, etwaige strukturelle Defizite (z.B. hinsichtlich Schulungen) aufgedeckt und Möglichkeiten zur Unterstützung einzelner Vereine bei der Anpassung ihrer Strukturen bzw. Qualifizierung ihrer Mitglieder geschaffen werden.
Diese Überlegungen führen uns nahtlos zu einem bis heute kontrovers diskutierten Thema: der Frage nach der Gemeinnützigkeit des E-Sports, die (bedauerlicherweise) häufig auch mit der Frage, ob E-Sport Sport sei, vermengt wird. Aus den obigen Ausführungen ergibt sich aus unserer Sicht nahezu zwingend der gemeinnützige Charakter des E-Sports: Amateurvereine bzw. E‑Sportabteilungen innerhalb bestehender Vereine leisten unzweifelhaft Arbeit, von der die Allgemeinheit profitiert; neben den o.g. Aspekten der Jugendarbeit außerdem beispielsweise in Form der Integration/Sozialisation von Menschen, die von „klassischen“ Vereinsangeboten nicht erreicht werden. Insofern halten wir die Frage, ob E-Sport Sport ist, bei der Frage um die Gemeinnützigkeit für nachrangig. Wenn der Fokus der Vereinsarbeit sich zukünftig noch stärker der Jugendarbeit zuwendet, halten wir die Frage nach einer geeigneten Form der Integration in die bestehenden Strukturen der organisierten Jugendarbeit (z.B. Jugendring) für sehr viel relevanter.
Um diesen Fragen ergebnisoffen nachzugehen und sie beantworten zu können, halten auch wir eine stärkere Vernetzung mit öffentlichen Einrichtungen bzw. Institutionen gesellschaftlichen Lebens für wünschenswert. Dafür benötigt es allerdings funktionierende (Landes-)Verbandsstrukturen im E-Sport einerseits und Offenheit und Interesse am Austausch seitens der Politik bzw. der jeweiligen Institutionen andererseits.
Ausbildung von E-Sport-Talenten in Deutschland
Die Ausbildung zukünftiger E-Sport-Talente sollte unserer Ansicht nach perspektivisch bereits im Jugendalter und in lokalen Vereinen beginnen können. Eine solche strukturierte Entwicklung findet derzeit in der Fläche allerdings nicht statt. Wenn der Anspruch der Szene ist, Deutschland in dieser Hinsicht wettbewerbsfähig zu halten, braucht es dazu konkrete Konzepte und Förderprogramme, gepaart mit einem besseren Erwartungsmanagement mit Blick auf potenzielle Talente. Hier hilft unter Umständen tatsächlich der Blick auf den organisierten Sport, um klar zu benennen, was gutes E-Sport-Training ausmacht und wo die Unterschiede zum bloßen „Zocken“ sind.
Die Rolle des ESBD
Die kritische Haltung des 1. Esport Club Frankfurt gegenüber dem eSport-Bund Deutschland ist innerhalb der Szene sicher hinlänglich bekannt. Wie den vorangegangenen Zeilen unschwer zu entnehmen ist, halten wir einen starken und vor allem funktionierenden Dachverband in vielen Bereichen nichtsdestotrotz für essenziell. Aus unserer Sicht sollte er allerdings mehr sein als nur ein Sprachrohr zur Politik! Wie dargestellt, gibt es bei der Vernetzung und Qualifizierung der Mitglieder(organisationen) genug Handlungsbedarfe oder -optionen, derer sich der ESBD annehmen könnte. Hilfreich wäre aus unserer Sicht ein aktives Erwartungsmanagement seitens des ESBD: Wie sieht er sich selbst und seine Rolle? Was kann (und will) er leisten, was nicht? Was braucht er dafür (z.B. ausreichende Mittel für eine hauptamtliche Geschäftsstelle, wie im Positionspapier angeregt)?
Wir wissen: E-Sport kann sehr viel mehr sein als das negative Stereotyp von „im Keller der Eltern irgendwelche Ballerspiele zocken“ suggeriert. Wie die Initiator*innen von E-Sport 2030 sind wir davon überzeugt, dass wir als gesamte Szene, als Community, als Gemeinschaft sehr viel erreichen können, wenn wir an einem Strang ziehen. Und wie dargestellt, gibt es mehr als genug zu tun.
Packen wir es an – gemeinsam!